Musikerinnen langfristig fördern

Die Sopranistin Hannah Gries ist die erste Preisträgerin des neuen Stipendiums des Soroptimist International Clubs Stuttgart (SI-S). Das Stipendium wird ab 2022 jährlich vergeben. Es ist mit 1.500 Euro dotiert und dient der Förderung der Ausbildung von Frauen an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (HMDK) in Stuttgart.

„Ein besonderes Anliegen ist uns im Club Stuttgart von jeher die Förderung und Unterstützung von kunst- und kulturschaffenden Frauen. Seit der Clubgründung im Jahr 1969 zählen wir viele Künstlerinnen und Frauen aus kunst- und kulturaffinen Berufen zu unseren Mitgliedern. Seit unserem Bestehen haben wir auch zahlreiche Projekte mit und für Kunst- und Kulturschaffende initiiert, viele davon in Zusammenarbeit mit der HMDK“, so Katharina Drifthaus, Programmdirektorin im SI-Club Stuttgart. In Zeiten von Corona gaben mehrere kleinere, von Clubschwestern initiierte Konzerte in privatem Rahmen, Studentinnen der HMDK eine Auftrittsmöglichkeit. Gespräche über die Auswirkungen der Corona-Krise für Künstler*innen und der Wunsch des Clubs, Studentinnen der HDMK zu unterstützen, führten zu der Idee des jährlichen Stipendiums. 

Am 3. Februar übergab der SI-S erstmalig das Stipendium, in diesem Jahr im Fach Gesang – an die Sopranistin Hannah Gries. Sie überzeugte beim Vorsingen im Januar neben der Fachjury der Hochschule auch die Soroptimistinnen. Schon ihr Motivationsschreiben gefiel durch ihre feministische Haltung und ihr gesellschaftspolitisches Engagement. 

„Sie ist eine tolle Frau, die unsere Werte absolut verkörpert und – nicht nur nebenbei – auch noch ganz fantastisch singt! Eine wunderbare erste Stipendiatin“, unterstreicht Initiatorin Katharina Drifthaus.

Hannah Gries freut sich sehr, die erste Preisträgerin zu sein: „Ich habe mich für dieses Stipendium beworben, weil Soroptimist International für die Solidarität von und mit Frauen steht.  Dass diese Auszeichnung neben künstlerischem Talent auch soziales Engagement würdigt, finde ich motivierend.“ Ihr Masterstudium wird Hannah Gries voraussichtlich dieses Jahr abschließen und sich mit Vorsingen und Konzertieren beschäftigen — in Richtung Opernbühne und Musiktheater. Der Geldpreis soll ihr helfen, diese Ziele zu erreichen.

Bei unserem virtuellen Clubabend im Februar sprachen wir mit Hannah Gries über ihre Entscheidung für ein künstlerisches Studium, ihr soziales Engagement und ihre Pläne für die Zukunft.

„Für ein künstlerisches Studium habe ich mich entschieden, weil Musizieren und Singen mich erfüllt“ erzählt die Sopranistin. Bereits als Teenager beschloss sie, Sängerin zu werden. In diesem Beruf nimmt sie die Herausforderung an, auf der Bühne Emotionen – auch die Unbequemen ­– zum Ausdruck zu bringen. „Die intensive Auseinandersetzung mit Stücken, mit meiner Stimme und mit meinen Emotionen kann sowohl überwältigend schön als auch beängstigend sein.“

Auf der Bühne zu singen war eine feste Entscheidung, ihr soziales Engagement dagegen begann durch „einen großen Zufall“. Hannah Gries: „Eine Freundin war in einem Erstaufnahmelager tätig und ich habe sie dort bei einer Veranstaltung besucht. Das hat bei mir unglaublich viel in Bewegung gebracht. Ich war überwältigt von meinem Unwissen und von meinen Gefühlen. Ich habe Menschen kennengelernt, die in diesem Lager leben mussten und Menschen, die sich dort engagieren. Damals, stand ich kurz vor meinem Studium und wollte gerne helfen“. Derzeit unterstützt Hannah Gries LGBTTIQ-Geflüchtete beim Regenbogenrefugium Stuttgart. Das Ehrenamt ist für sie wichtig und sie versucht, Zeit dafür einzuplanen, so wie sie es mit ihren beruflichen Tätigkeiten vereinbaren kann. 

Seit 2015 studiert Hannah Gries Gesang an der HMDK Stuttgart. Sie ist als Konzert-, Lied- und Opernsängerin innerhalb und außerhalb der Hochschule gefragt. Ihre Auftritte führten sie in Deutschland bereits in die Liederhalle Stuttgart, nach Ludwigshafen, Frankfurt und Mainz sowie international nach Irland, Korea, Israel und England. Sie trat mehrfach mit der Theatergruppe Goldstaub e.V. auf und war in dem Kunstfilm „Tränen der Daphne“ (2021) in der Hauptrolle zu sehen. Darüber hinaus hat Hanna Gries in verschiedenen Chören mitgewirkt, war als Stimmbildnerin bei einem Mädchenchor und ist derzeit beim Hymnus-Knabenchor in Stuttgart tätig. 

Am 1. April ist Hannah Gries in der „Musikpause“ im Haus der Musik, Fruchtkasten am Schillerplatz, zu hören sowie am 15. April im Karfreitagskonzert, Bach h-Moll-Messe, in der Stuttgarter Stiftskirche. 

„Mit diesem jährlichen Stipendium möchten wir Kunst und Kultur fördern, bei gleichzeitigem Engagement für die Überwindung von geschlechtsspezifischen Schwierigkeiten“, betont die Präsidentin des SI-Clubs Stuttgart, Prof. Dr. Hendrikje Mautner-Obst. „Es leistet damit einen Beitrag, Studentinnen auf ihrem Weg in eine erfolgreiche künstlerische Tätigkeit zu unterstützen. Wir wünschen unserer ersten Preisträgerin Hannah Gries viel Erfolg und freuen uns, sie dabei zu begleiten.“

Literaturabend mit Gästen

Inhaberin Uscha Kloke und Diplom-Bibliothekarin Andrea Martin vom Botnanger Buchladen stellen uns schon seit vielen Jahren ihre Favoriten des Jahres vor, jedes Jahr im November. Nur einmal musste der Abend ausfallen, 2020 wegen der Pandemie. Wir haben uns gefreut, dieses Jahr mit Vorsichtsmaßnahmen den „Bücherabend“ weiterführen zu können. Insgesamt 16 ausgewählte Bücher haben Frau Kloke und Frau Martin vorgestellt.

Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums von Soroptimist International hat Frau Kloke drei Bücher einer besonderen Autorin mitgebracht. Die Autorin ist Gabriele Tergit, geboren 1894 in Berlin als Elise Hirschmann, Tochter aus einem wohlhabenden deutsch-jüdischen Elternhaus. Sie gehörte 1930 zu den Gründungsfrauen des Berliner Soroptimist-Clubs, der erste Club von Soroptimist International in Deutschland. Sie starb 1982 in London.

Frau Kloke erzählte über eine der bekanntesten Journalistinnen der damaligen Zeit: „Gabriele Tergit begann früh zu schreiben und wurde eine der ersten Gerichtsreporterinnen der Weimarer Republik. Sie publizierte in der renommierten Vossischen Zeitung und mit dem geschärften Blick der Gerichtsreporterin beobachtete sie früh die politischen Entwicklungen und die Verrohung in der deutschen Gesellschaft. Weil sie Jüdin war und obendrein klug und mutig und sowohl die sozialen Verhältnisse anprangerte als auch früh die Ideologie der Nazis kritisierte, musste sie bald nach Hitlers Machtergreifung emigrieren. Ihr ganzes Leben hindurch hat sie geschrieben. Obwohl Gabriele Tergit unbedingt in eine Reihe mit Kurt Tucholsky oder Erich Kästner gehört, geriet sie – wie so viele Frauen in der Literaturgeschichte – in Vergessenheit“.

Neben Gabriele Tergits berühmten Romanen „Käsebier erobert den Kurfürstendamm“ (1931) und „Effingers“ (1951) stellte Frau Kloke den Roman „So war’s eben“ vor, eine Ersterscheinung aus dem Nachlass der Autorin. Dieser zum Teil autobiografische Generations- und Zeitroman über den Untergang des jüdischen Bildungsbürgertums in Berlin bis hin zur Flucht ins Exil, fand zu ihrer Lebzeit keinen Verlag. Sogar der renommierte Lektor beim Rowohlt Verlag, Fritz Raddatz, lehnte das Manuskript ab. Der Literaturwissenschaftlerin Nicole Henneberg ist es zu verdanken, dass Gabriele Tergit posthum wiederentdeckt wurde. Sie ist auch Herausgeberin der Neuauflagen dieser Bücher. 

„Ihr aktuelles Buch ‚So war’s eben‘ ist komplexer erzählt als die beiden anderen Bücher, und doch hat es mich persönlich am meisten begeistert, weil man ausgesprochen viel über den Alltag und insbesondere das Frauenleben in den Jahren zwischen 1890 und den 1950er Jahren erfährt“, ergänzt Frau Kloke abschließend.

Wir danken Uscha Kloke und Andrea Martin für den interessanten Abend und ihre vielfältigen Empfehlungen!